DR. CHRISTINE HOFFMEISTER ✝︎ (9. MAI 1931 – 5. JULI 2022)

Nachruf auf Dr. Christine Hoffmeister
(geboren am 9. Mai 1931 in Roßwein/Sachsen, gestorben am 5. Juli 2022 in Stuttgart)

Am 5. Juli 2022 ist die Kunsthistorikerin und langjährige stellvertretende Direktorin der Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin, Dr. Christine Hoffmeister in Stuttgart an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Frau Hoffmeister hinterlässt eine Tochter und deren Ehemann, einen Sohn, zwei Enkel und eine Enkelin.

Trotz körperlicher Einschränkungen und schwindender Kräfte, zunehmend ab 2017, trotz vielfältiger Hilfe durch andere und insbesondere ihre Tochter konnte Frau Hoffmeister bis zum September 2021 in ihrem Haus in Zeuthen bei Berlin wohnen bleiben. Von da an lebte sie in einem Heim bei Zeuthen, bevor sie im März 2022 nach Stuttgart zur Familie ihrer Tochter zog. Ab April lebte sie dann in unmittelbarer Nähe der Tochter in einem Heim in Stuttgart, so dass die Besuche bei ihr und ihre Betreuung einfacher wurden. Ihren 91. Geburtstag am 9. Mai 2022 feierte sie bei der Familie der Tochter. 

Mit Worpswede war Dr. Christine Hoffmeister eng verbunden, was sich bei einer so ausgewiesenen Vogeler-Forscherin auch schon fast unausweichlich ergeben musste. Aber Heinrich Vogeler war nicht der einzige Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Sie galt mit besonderer Kontinuität dem Industriebild in der europäischen Kunst. Und sie galt auch weiteren wichtigen Aspekten und Künstlern besonders der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem der ’sozialistischen Kunst‘ und – allgemeiner – den realistischen Tendenzen, die sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit zuwenden. Neben Vogeler finden wir als Spezialgebiete die „Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler“ (Asso) der Zwanziger Jahre, dann – in bunter Reihe genannt – Heinrich Ehmsen, Ernst Neuschul und die DDR-Kunst im allgemeinen und Fritz Cremer im besonderen. Heinrich Vogeler fühlte sie sich vor allem verbunden. Mit ihm und seinem Werk hat sich Christine Hoffmeister ab 1965 und bis in ihre spätesten Jahre intensiv befasst. Sie hat viele seiner Freunde und Weggefährten befragt, sie hat die Freundschaft und den Austausch mit seiner zweiten Frau Zofia Marchlewska und dem Sohn der beiden, Jan Vogeler gepflegt, sie hat den in der Nationalgalerie bewahrten künstlerischen Nachlass Vogelers der Öffentlichkeit vermittelt und ab 1968 bis in die neunziger Jahre über Vogeler publiziert – alles das, um diesem Künstler zu einer seiner Bedeutung gemäßen Würdigung zu verhelfen.

Dabei war sie, die zu all ihren Spezialgebieten immer auch wichtige Studien vorgelegt hat, die eine Vielzahl von Ausstellungen in der DDR und im Ausland inhaltlich und organisatorisch verantwortet hat, die zahllose Kataloge betreut und mitverfasst hat, die viele Vorträge gehalten, an wichtigen Fachtagungen teilgenommen und Ausstellungen bis hin nach Japan eröffnet hat, zunächst vor allem Suchende in einer vom Krieg zerstörten Zeit. Nach dem Abitur begann sie zunächst mit einer Lehre, absolvierte ab 1950 die Grundausbildung an der Kunstgewerbeschule in Leipzig unter Leitung von Max Schwimmer und von 1952 bis 1954 das Grundlagenstudium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee unter Leitung von Mart Stam, bis schließlich das Interesse für Kunstgeschichte und Kunsttheorie überwog. Von 1954 bis 1958 studierte Christine Hoffmeister an der Universität in Greifswald Kunstgeschichte und Archäologie bei Carl-Heinz Clasen und Erwin Bielefeld. Ihr Studium schloss sie mit einer Diplomarbeit über „Das Industriemotiv in der Berliner Malerei und Graphik“ ab. Diesem Thema hat sie sich später weiter gefasst auch mit ihrer Dissertation „Zur Theorie und Genesis des Industriemotivs in der deutschen Malerei und Graphik“ zugewandt.

Ihre wichtigsten beruflichen Stationen waren die Aspirantur und die spätere Mitarbeit am Institut für Kunstgeschichte der Humboldt-Universität Berlin (1958 bis 1968), die Leitung der Abteilung bildende Kunst/Ausland in der Ausstellungsgruppe des Ministeriums für Kultur der DDR (1969 bis 1974) und schließlich ihre Tätigkeit als stellvertretende Direktorin – und viele Jahre davon auch als amtierende Direktorin – der Nationalgalerie im Ostteil von Berlin (ab 1975 bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand 1991).

Es lag bei dem besonderen Interesse von Christine Hoffmeister am Leben und Werk von Heinrich Vogeler nahe, dass Worpswede als Ort mit in ihrem Fokus stand. Die Verhältnisse sind dem lange nicht günstig gewesen. Erst ab Ende der achtziger Jahre besuchte Christine Hoffmeister für kurz oder auch länger den Ort der Anfänge Vogelers. Sie nahm an Versammlungen der Heinrich-Vogeler-Gesellschaft teil, an deren Symposium 1989 und forschte 1991 für längere Zeit mit einem Barkenhoff-Stipendium im „Worpsweder Archiv“ – um nur ein paar Aufenthalte zu nennen. 

Auch ein nicht unwichtiger Teil ihrer Veröffentlichungen zu Vogeler hängt mit Worpswede zusammen. Ihr Buch über dessen Komplexbilder (Lilienthal 1980), das den Test der Zeit bestanden hat und im Anschluss an die Dissertation von Hans Liebau (1961) eine gültige Charakterisierung dieser Bildform und äußerst erhellende Interpretationen der damals bekannten Komplextafeln bietet, konnte zu der Zeit ‚bei uns‘ nur entstehen, weil Peter Elze, der Leiter des Worpsweder Verlags, sich um westliche Berührungsängste mit dem Kommunisten Vogeler hinweggesetzt hat und mit dem Wunsch nach einem solchen Buch an Christine Hoffmeister herangetreten ist. Dieses erfolgreiche Zusammenwirken hatte Bestand über die Wende und über Peter Elzes Bestellung zum Leiter des „Worpsweder Archivs“ hinaus und hat zu den inzwischen zu Standardwerken gewordenen Katalogbüchern über das Rote Hilfe Kinderheim Barkenhoff (1991) und Vogeler in Karelien 1925-1936 (1992) geführt. Im Buch über das Kinderheim zeichnet Christine Hoffmeister in ihrem glänzend recherchierten Beitrag Vogelers politisches und künstlerisches Wirken für die Rote Hilfe in allen Facetten nach und klammert auch Vogelers Schwierigkeiten mit der KPD Ende der Zwanziger Jahre nicht aus. Das Katalogbuch über Vogeler in Karelien, erschienen zu den Ausstellungen in Worpswede, Neubrandenburg und Tübingen und fast allein von Christine Hoffmeister verfasst, ist ein Musterstück an Quellen-Erschließung und kunstwissenschaftlicher Analyse. Unbedingt hervorzuheben ist die überzeugende und eindrucksvolle Erläuterung von Vogelers künstlerischer Vorgehensweise bei den Komplexbildern, die eine – von der Verfasserin identifizierte – Unzahl von Vorstudien und von schriftlich niedergelegten Impressionen wie in einem Prisma synthetisieren.

Die mit Worpswede verbundenen Publikationen bilden nur den kleineren Teil der Arbeiten von Christine Hoffmeister über Heinrich Vogeler. Das Einverständnis der Verfasserin mit Vogelers Entscheidung für den Kommunismus und für die Sowjetunion tritt darin überall denkbar offen und nachdrücklich zutage. Aber sie war zu sehr Wissenschaftlerin, um Schablonen zu bedienen. Schon ihr erster größerer Beitrag 1968 (in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität), der komprimiert Vogelers Stationen und Arbeitsfelder von seinen Anfängen bis in die späteste Zeit nachzeichnet, meidet das Klischee und stellt Vogelers Weg unter die unverbrauchte, geglückte Formel „vom kontemplativen zum streitbaren Humanisten“. Es folgen – gelegentlich in thematischer Aufteilung mit dem westdeutschen Vogeler-Forscher Werner Hohmann – grundlegende Studien zu Vogelers Reden im Moskauer Rundfunk und zu seinen Flugblättern für die Rote Armee, veröffentlicht in den DDR-Zeitschriften „Bildende Kunst“ und „Kunsterziehung“. Weiter sind Beiträge anzuführen, die sich kleineren Funden zuwenden und doch dem Vogeler-Bild neue, überraschende Akzente verliehen haben – so der illustrierte Rollbrief von Ende 1923 an die Barkenhoff-Kinder, so die Zeichnungen vom Jung-Spartakus-Zeltlager bei Templin von 1928, die eines der raren Dokumente seiner künstlerischen Arbeit am Ende der zwanziger Jahre sind. 

Die bedeutendsten Publikationen mit und von Christine Hoffmeister sind aber zweifellos das Katalogbuch „Revolution und Realismus – revolutionäre Kunst in Deutschland 1917-1933“ (zur gleichnamigen Ausstellung im Berliner Alten Museum Berlin 1979) und der umfangreiche Artikel über Vogeler in der zweiten Ausgabe von „Exil in der UdSSR“ (Reclam Leipzig 1989). Bei „Revolution und Realismus“, einer unendlich genauen, auf Vollständigkeit angelegten und damit auch Vogeler kontextualisierenden Aufarbeitung des Themas, oblag ihr die Konzeption und organisatorische Gesamt-Verantwortung von Ausstellung und Katalogbuch. Und wer sich den Katalog vornimmt, findet Christine Hoffmeister auch als Autorin der mehr als zwei Dutzend von ihr beigesteuerten „Künstlerbiographien“, die zu Vogeler fehlt natürlich nicht. Der mit vielen Nachweisen minutiös dokumentierte Artikel in „Exil in der UdSSR“ entrollt in systematisierter Form das ganze, außerordentlich weit gespannte Panorama von Vogelers Tätigkeitsfeldern in der Sowjetunion und übergeht dabei auch nicht, dass und in welchen Konstellationen seine Kunst „nicht immer verstanden“ wurde. Keine künftige Auseinandersetzung mit Vogelers späterem Leben und Werk wird Christine Hoffmeisters Darstellung übergehen können.

Dr. Christine Hoffmeister hat in ihren letzten Lebensjahren umfangreiches von ihr gesammeltes Material von und zu einzelnen Künstlern an öffentliche Einrichtungen übergeben bzw. deren Übergabe noch vorbereitet – so an die Berliner Akademie der Künste (Ehmsen und Cremer) und an die Berlinische Galerie (Neuschul). Am Vogeler-Material – darunter hunderte von Briefen des Künstlers – hat sie bis zum Schluss gehangen und daran festgehalten, auch als die Hoffnung auf eine eigene Brief-Edition schon geschwunden war. Es war ihr Wunsch, dass dieses  Material als Schenkung an den Verein „Freunde Worpswedes e .V.“ geht, mit der Auflage der weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung. Erleben konnte sie seine Umsetzung nicht mehr. Erst einen Monat nach ihrem Tod konnte ihr Wunsch in Erfüllung gehen: Am 6. August dieses Jahres haben zwei Worpsweder Abgesandte in Zeuthen die Schenkung aus der Hand der Tochter entgegennehmen können. Das Vogeler-Material stand in der Regalwand in ihrem Arbeitszimmer oben links – da, wo in Regalwänden alles anfängt und das Wichtigste zu stehen pflegt.

Bernd Stenzig, August 2022

Dr. Christine Hoffmeister und Dr. Hans-Joachim Hoffmann
Frau Dr. Christine Hoffmeister (ganz links) mit dem DDR-Kulturminister Dr. Hans-Joachim Hoffmann (1973 – 1989, vorne) bei der Eröffnung der Otto-Nagel-Ausstellung in der Ost-Berliner Nationalgalerie am 26. September 1984.
Foto: Nachlass Frau Dr. Christine Hoffmeister
nach oben